Bericht Jahrestagung 2020

Tagungsbericht des Arbeitskreis Geographische Migrationsforschung „Krisen als Thema der geographischen Migrationsforschung“, 19. November 2020 an der Freien Universität Berlin

erschienen im Digitalen RUNDBRIEF GEOGRAPHIE des VGDH Nr. 94

Die Geographische Migrationsforschung (GMF) hat sich in den letzten Jahren mit unterschiedlichen Krisen beschäftigt. Der „lange Sommer der Migration“ 2015 sowie die damit zusammenhängenden Krisen des Europäischen Asylsystems und lokaler Governance haben eine umfangreiche Wissensproduktion angestoßen. Langfristige Krisenverläufe im Zuge von Klimawandel und sich weiter zuspitzenden globalen Ungleichheiten sind schon seit längerem Thema der GMF. Durch die Covid-19-Pandemie werden die gesellschaftspolitischen Brüche, Spannungen sowie Missstände und damit die Notwendigkeit der weiteren Beforschung und Verschränkung der vorgenannten Krisendimensionen besonders deutlich: die Vulnerabilität von Gesellschaften, prekäre Beschäftigung, Ungleichheit im Bildungssystem, Immobilität, restriktive Migrationskontrolle und der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen unabhängig vom Aufenthaltsstatus.

Unter dem Titel „Krisen als Thema der geographischen Migrationsforschung“ wurde der wissenschaftliche Austausch der diesjährigen Tagung des AK Geographische Migrationsforschung durch fünf Beiträge angeregt. Das Verhältnis von „Krisen & Ökonomie“ war rahmengebend für die ersten beiden Vorträge. Jan Kordes von der Goethe Universität Frankfurt am Main diskutierte in seinem Beitrag „Krise der Reproduktion und Migration: Anwerbepolitiken im Pflegebereich als spatial fix unter umkämpften Reproduktionsbedingungen“ aus der Perspektive materialistisch-feministischer Geographie, inwiefern die sog. Krise des „Pflegenotstandes“ migrationspolitisch bearbeitet wird. Dr. Alexandra David und Dr. Judith Terstriep von der Westfälischen Hochschule und Dr. Susann Schäfer von der Friedrich-Schiller-Universität Jena stellten in ihrem Beitrag „Resilienz migrantischer Unternehmen – Krisenerfahrung als Asset in Zeiten von COVID-19 und danach“ die Frage, wie als Migrant:innen und Geflüchtete positionierte Unternehmer:innen durch Rückgriffe auf Krisenerfahrungen, die mit der eigenen Mobilität verbunden sind, resilient agieren (können). Drei weitere Beiträge nahmen unter dem Stichwort „Krisen zwischen Moment und Permanenz” zeitliche Dimensionen von Krisen aus geographischer Perspektive unter die Lupe. Dr. Benjamin Etzold vom Bonn International Center for Conversion (BICC) skizzierte in seinem Voritrag „Figurationen der Flucht und die Verstetigung der Krise(n)“ grundlegende Mechanismen der Re-Produktion von Krisen im Alltag von Schutzsuchenden in Lebenslagen langanhaltender Vertreibung in Afrika, dem Nahen Osten und Südeuropa. Tobias Breukmann von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel analysierte in seinem Beitrag „Von brennenden Lagern zu geschlossenen Lagern. Krisen als Ergebnis und Dauerkrisen als Techniken der Regierung von Migration“ auf welche Art und Weise akute Krisenereignisse autoritäre Machttechniken legitimieren, um Geflüchtete in Camps von elementaren Versorgungsleistungen auszuschließen. In ihrem Beitrag „Migrants and the Local Population – People and Places under Duress?“ zeichneten Dr. Jörg Plöger und Zeynep Aydar (beide ILS – Institut für Landes‐ und Stadtentwicklungsforschung/ Dortmund) die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Ankunft von Migrant:innen in verschiedenen lokalen Kontexten nach.

Im Anschluss an den wissenschaftlichen Austausch folgte die Mitgliederversammlung des AK. Nach zehn erfolgreichen Jahren wurden die Gründer:innen des AK, Prof. Dr. Andreas Farwick, Prof. Dr. Felicitas Hillman und Prof. Dr. Andreas Pott aus ihrer AK-Sprecher:innenfunktion verabschiedet. Ihnen sprechen der AK und die neue Leitung ihren herzlichen Dank aus. Im Rahmen der Vorstellung des neuen Sprecher:innenteams, bestehend aus Dr. Benjamin Etzold, Dr. Heike Hanhörster, Prof. Dr. Antonie Schmiz und Dr. Harald Sterly und als Senior Chair in beratender Funktion Prof. Dr. Felicitas Hillmann, erfolgte eine angeregte Diskussion über die zukünftige fachliche Ausrichtung sowie das Selbstverständnis des AK. Es gab einen großen Konsens der Mitglieder, auch weiterhin einen Schwerpunkt auf die Nachwuchsförderung zu legen und die internationale Vernetzung des AKs zu stärken. Zukünftige Themen für den AK, welche die Teilnehmer:innen vorschlugen, sind u. a. Zugehörigkeiten, Exklusion und Diskriminierung, Rassismus, Dekolonialisierung von Migrationsforschung, Infrastrukturen der (Im-)Mobilität, städtische Migrationsregime sowie Praktiken der Migrationskontrolle und -abwehr.

Der AK freut sich über neue Mitglieder! (Anmeldung unter antonie.schmiz@fu-berlin.de); Website: https://www.geo-mig.uni-osnabrueck.de/kontakt/

Stephan Liebscher, Barbara Orth, Antonie Schmiz und Marlene Vossen (Organisationsteam der Tagung, Arbeitsgruppe Globalisierung, Transformation, Gender an der Freien Universität Berlin)